Vor einigen Jahren war das Vogelgrippe-Virus H5N1 groß in den Medien. Es wurde als möglicher Auslöser einer neuen, weltweiten Grippe-Pandemie gehandelt. Zum Glück ist dies bisher er noch nicht eingetreten. Doch wofür steht eigentlich die Abkürzung H5N1? Kann man darüber die Gefährlichkeit eines Grippevirus ableiten? Heute möchte ich mich mit den Benennungen und den Einteilungen der unterschiedlichen Grippeviren beschäftigen. Doch zunächst ein Blick auf den Aufbau eines typischen Grippevirus.
Die Schlüsselproteine der Grippeviren
Der Aufbau eines Grippevirus hat eine gewisse Ähnlichkeit mit einem ausgepackten Überraschungsei. Natürlich nicht von den Zutaten her aber von der Struktur, wobei das Virus eher kugelförmig und nicht eiförmig ist. Das Spielzeug im Inneren des Überraschungseis ist von zwei Schichten umgeben: zunächst von der Plastikkapsel und danach von der Schokoladenschicht. Und beim Grippevirus ist es ähnlich: Im Inneren des Virus ist das Erbgut, der Bauplan für die Proteine des Virus. Und hierbei handelt es sich um ein RNA-Erbgut und nicht, wie sonst bei den meisten Lebewesen, um ein DNA Erbgut. Dieses RNA Erbgut und einige Enzyme sind eingeschlossen in einer Proteinkapsel und diese Proteinkapsel wiederum ist umgeben von einer Membran. Die Membran ist ähnlich aufgebaut wie eine typische Zellmembran. In der Membran befinden sich unter anderem zwei Proteine, die das Virus unbedingt für seine Vermehrung benötigt. Und diese beiden Proteine werden auch benutzt, um die Grippeviren einzuteilen: Die Proteine heißen Hämaglutinin und Neuraminidase. Sie haben die Anfangsbuchstaben H und N, und diese Buchstaben werden ja auch bei den Benennungen verwendet. Z.B. H5N1.
Aber betrachten wir zunächst die Bedeutung dieser Proteine für das Virus: Das Hämaglutinin ist wichtig für den Kontakt zwischen dem Virus und seiner Wirtszelle. Über dieses Protein erfolgt die Bindung an bestimmte Rezeptoren auf der Zelloberfläche. Außerdem hilft das Protein, eine Verschmelzung zwischen Virusmembran und Zellmembran herbeizuführen. Durch diesen Prozess kann das Virus in die Zelle eindringen und sein RNA Erbgut freisetzen. Nun passiert das, was immer passiert, wenn Viren in eine Zelle eindringen: Sie kapern den Zellstoffwechsel und sie sorgen dafür, dass neue Viren hergestellt werden. Hierfür werden Kopien des Virus Erbguts hergestellt außerdem werden die notwendigen Proteine gebildet. Aus den Proteinen und dem Erbgutkopien werden neue Viren gebaut. Und die sollen nun die Zelle verlassen. Hier kommt das zweite Protein, die Neuraminidase ins Spiel. Dieses Enzym ist notwendig, damit neugebildete Viren die Wirtszelle verlassen können. Es hilft bei der Abspaltung der Viren von der Wirtszelle. Und damit wird deutlich, wie wichtig diese beiden Oberflächenproteine für das Virus sind. Das Hämaglutinin ist unbedingt notwendig, damit Viren überhaupt Zellen befallen können. Und die Neuraminidase ist notwendig, damit die Viren effizient aus den Zellen entkommen können, um weitere Zellen zu infizieren. Die Erfolgsquote von Grippeviren hängt also sehr stark von der Funktionalität dieser beiden Proteine ab. Und je effizienter diese beiden Proteine arbeiten, desto gefährlicher wird es für den Menschen.
Die Einteilung der Grippeviren
Betrachten wir nun die Einteilung der Grippeviren über das Hämaglutinin und die Neuraminidase, also über die Buchstaben H und N. Die beiden Proteine befinden sich auf der Oberfläche des Virus. Nur so können sie ihre jeweiligen Aufgaben erfüllen. Das macht sie aber auch leicht nachweisbar. Natürlich kann man Proteine leichter nachweisen, wenn sie auf der Oberfläche des Virus sind, als wenn sie sich im Inneren des Virus befinden.
Es gibt unterschiedliche Versionen dieser Proteine auf unterschiedlichen Viren. Vom H also dem Hämaglutinin wurden bisher 18 verschiedene Versionen entdeckt, vom N also der Neuraminidase bisher elf verschiedene Versionen. Und diese Unterschiede nutzt man, um die Grippeviren in verschiedene Gruppen einzuteilen. Zurück zu unserem Virus Beispiel: H5N1 hat also die Version 5 des Hämaglutinins und die Version 1 der Neuraminidase. Diese HN Einteilung kann man irgendwie vergleichen mit der Einteilung von Autos nach Marke und Farbe. Ich könnte sagen, ich habe hier einen blauen Mercedes und dort einen grünen Audi und hier wiederum habe ich einen gelben BMW. Das wäre eine brauchbare Einteilung: ich könnte die Autos wiedererkennen und in bestimmte Gruppen einteilen. Und doch kann ich keine detaillierten Aussagen über die jeweiligen Autos machen. Es könnten zum Beispiel zwei blaue BMWs vor mir stehen, aber der eine könnte 500 PS haben und der andere nur 100 PS. Das kann ich mit dieser groben Einteilung nicht unterscheiden. Und ähnlich ist es bei der HN Einteilung der Grippeviren.
Das Virus, das 1918 die spanische Grippe ausgelöst hat, gehörte z.B. zur Gruppe H1N1, also hatte es das Hämaglutinin vom Typ H1 und die Neuraminidase vom Typ N1. Doch nur weil das Virus der spanischen Grippe zur Gruppe H1N1 gehörte, muss nicht jedes H1N1-Virus auch ein Killer Virus sein. Die typische jährliche Grippe wird zum Teil auch durch Viren der Gruppe H1N1 ausgelöst. Und die Auswirkungen dieser heutigen H1N1 Viren sind in keinster Weise vergleichbar mit den desaströsen Auswirkungen der spanischen Grippe von vor gut 100 Jahren. Ein H1N1 Virus kann ein Killer sein, kann aber genau so eine relativ harmlose Grippe auslösen. Hämaglutinin-Proteine vom Typ H1 unterscheiden sich nämlich auch untereinander in ihren Eigenschaften. Das gilt auch für Neuraminidasen der Gruppe N5 können auch wiederum verschiedene Eigenschaften haben.
Aus der HN-Einteilung kann man also nur ansatzweise ableiten, wie gefährlich ein Grippevirus werden könnte. Die Gefährlichkeit der aktuellen Grippeviren muss man jedes Jahr aufs Neue untersuchen. Denn die Grippeviren verändern von Jahr zu Jahr. Doch warum ist das eigentlich so? ————
Warum jedes Jahr ein neuer Grippeimpfstoff benötigt wird
Der Hauptgrund für die jährliche Entstehung neuer Grippe Varianten ist die hohe Fehlerrate bei der Verdopplung des Virus Erbgutes. Die Verdopplung von Erbgut ist ein genereller Prozess in allen Lebewesen. Jedes Mal vor einer Zellteilung muss das Erbgut verdoppelt werden, damit beide Tochter Zellen auch das vollständige Erbgut erhalten können. Für Viren gilt im Prinzip das gleiche: jedes neu entstandene Virus muss das komplette Virus Erbgut erhalten. In Virus-infizierten Zellen wird also das Virus-Erbgut mehrfach kopiert, außerdem werden Virus-Proteine hergestellt. Daraus entstehen schließlich vollständige Viren und werden freigesetzt. Und dieser Kopierprozess ist sehr fehleranfällig. Es entstehen viele Mutationen, also viele RNA Veränderungen in den neu entstandenen Erbgut Kopien. Das führt dazu, dass die meisten neuen Viren defekt sind. Sie funktionieren nicht mehr richtig und können keine weiteren Zellen infizieren. Allerdings entstehen auch einige Viren, die trotz der Mutationen weiterhin funktionsfähig sind. Und die wegen der Mutationen ein bisschen anders sind als die bisherigen Viren. Das ist gut für die Viren, aber schlecht für den Menschen. Denn diese leicht veränderten Viren werden nicht mehr vom Immunsystem erkannt. Das Immunsystem hat ja im Jahr zuvor einen Immunschutz gegen ein bestimmtes Virus aufgebaut. Bei einem erneuten Kontakt könnte das Virus sofort bekämpft werden. Aber das Virus vom letzten Jahr taucht nicht mehr auf, sondern ein leicht verändertes Virus. Damit ist der Immunschutz mehr oder weniger wirkungslos. Deswegen können wir jedes Jahr aufs Neue von Grippeviren angegriffen und krank gemacht werden. Und deshalb muss auch jedes Jahr ein neuer Impfstoff hergestellt werden gegen die aktuellen Viren.
Die Welt Gesundheits Organisation WHO überwacht die globale Entwicklung der Grippeviren. Dafür liefern 136 Grippe-Zentren in 106 Ländern auf der Welt Informationen über die aktuell vorkommenden Viren. In Deutschland ist zum Beispiel das Robert-Koch-Institut zuständig. Ausgehend von diesen Informationen wird der jährliche Grippeimpfstoff hergestellt. Doch dieser Impfstoff ist von seiner Wirksamkeit her nicht vergleichbar mit typischen Impfstoffen, zum Beispiel gegen Kinderkrankheiten. Denn mit einer Grippeimpfung ist man keineswegs komplett gegen eine Grippeerkrankung geschützt. Die Wirksamkeit schwankt von Jahr zu Jahr. Manchmal sind es 40 %, manchmal sind es 60 %, in besonders schlechten Jahren sogar nur 15 % Schutz. Doch warum bietet der Grippeimpfstoff keinen kompletten Schutz?
Der komplexe Prozess der Herstellung von Grippeimpfstoffen
Jedes Jahr im Februar treffen sich die Experten der WHO und tragen die aktuellen Informationen zusammen. Sie ermitteln, welche Virus-Varianten gerade aktiv sind und ausgehend von diesen Ergebnissen beschließen sie, gegen welche Grippeviren Impfstoffe erstellt werden sollen. Das sind die Impfstoffe für die nächste Grippesaison, also ab November/Dezember des gleichen Jahres. Die Impfstoffe für die Saison 2019/2020 wurden zum Beispiel schon im Februar 2019 festgelegt. Und genau hier liegt ein großes Problem, denn ein halbes Jahr ist eine lange Zeit und die Experten müssen Vorhersagen treffen, welches Virus wahrscheinlich in einem halben Jahr das vorherrschende Virus sein wird. Aber ob dies so eintrifft ist unklar. Es kann sich auch ein neues Virus durchsetzen, das vielleicht im Februar noch gar nicht so richtig auf dem Schirm der Experten war. Und das ist der Grund, warum von Jahr zu Jahr die Wirksamkeit der Grippe Impfung so schwankt. Die Experten müssen ein halbes Jahr in die Zukunft schauen, und in einem Jahr klappt diese Vorhersage besser und es werden genau die Viren erwischt die auch tatsächlich aktiv sind. Im anderen Jahr klappt diese Vorhersage nicht so gut und man hat aufs falsche Pferd gesetzt. Es tauchen vielleicht andere Varianten auf, die im Februar noch gar nicht aktiv waren. Doch warum legt man dann die Impfviren schon ein halbes Jahr vorher fest, wenn das doch so problematisch ist. Der Grund hierfür ist einfach: Die Herstellung des Grippe Impfstoffs dauert ein halbes Jahr. Die im Februar ausgewählten Grippe Stämme, es sind in der Regel 3-4 Stämme, werden in Hühnereiern vermehrt. Anschließend werden die vermehrten Viren aus den Hühnereiern isoliert, inaktiviert, damit sie keine Gefahr für den Menschen mehr darstellen, und anschließend erfolgt ein sehr aufwändiger Aufreinigungsprozess, um alle Verunreinigungen aus den Extrakten zu entfernen. Zum Schluss werden die isolierten aufgereinigten Viren in einem Impfstoff vermischt, der Herstellungsprozess ist abgeschlossen. Dieser Prozess dauert insgesamt ein halbes Jahr, und aus diesem Grund muss bereits im Februar festgelegt werden, welche Impfstämme verwendet werden damit pünktlich zur Grippesaison der Impfstoff zur Verfügung steht. Und das zusammen genommen führt zu der schwankenden Wirksamkeit der Grippeimpfstoffe. Zum einen die Wandelbarkeit des Grippevirus, zum anderen der lange Herstellungsprozess, der es notwendig macht, bereits ein halbes Jahr vorher festzulegen, welche Grippeviren im Impfstoff vorkommen sollen. Seit vielen Jahren arbeiten Wissenschaftler an einem universellen Grippeimpfstoff. Ein ehrgeiziges Ziel: Sie wollen einen Impfstoff entwickeln, der jedes Jahr wieder verwendet werden kann. Dazu suchen sie Bereiche auf den Grippeviren, die sich nicht oder kaum verändern, die also in jedem Grippevirus gleich sind. In den letzten Jahren gab es in diesem Bereich große Fortschritte und doch ist es noch lange nicht soweit dass ein solcher Impfstoff bei Menschen eingesetzt werden kann.
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